Kneipenphilosoph II

Der Kneipenphilosoph

Ein Gruß aus der Ferne, aufgeschrieben am 4. März 2025

„Erkenntnis setzt anscheinend Selbsterkenntnis voraus, heißt, ich muß wissen, daß ich es bin, der da schaut, zum Beispiel. Damit kann ich den Punkt, von dem aus ich schaue, zumindest ahnen. Zumindest, wenn es nicht der Bauchnabel ist, auf den ich schaue. Aber wie es so ist mit den Befindlichkeiten. Ich, das Universum, das Maß aller Dinge, das Ebenbild, der Herr, der Mittelpunkt, der Nabel – tja, das hatten wir schon. Die christliche Religion hat uns da, so als Spezies, einen ziemlichen Bärendienst erwiesen. Schon wenn das Ich im Zug sitzt wird´s problematisch. All die Häuser und Bäume da draußen, die so augenscheinlich fest stehen, schlagen dem fahrenden Mittelpunkt ein Schnippchen. Sicher, man kann sich behelfen, nur eine Frage der Ansicht. Der Zug steht und die Bäume fahren, zum Beispiel. Und was die Bäume davon halten ist egal. Ich, das Universum, das Maß, na und so weiter. Und es ist auch völlig egal, ob alle anderen den Zug vorbeifahren sehen. Und wenn sie das zu sagen wagen nenne ich sie einfach Verräter, ich, das Ebenbild, kann das. Denn ich werde ja die Welt retten, zum Beispiel. Heißt, was man mit einem solchen Konstrukt anstellen kann, haben wir in den letzten Jahren ausführlich beschauen können. Andauernde landesweite Freiluftexperimente sozusagen – die Deutschen sind wahrlich langsam und stur, der Rest der Welt hat längst einen Kater. Aber heben wir den Blick, du und ich, und schauen hin. Man könnte sagen, Europa mit Deutschland in der Mitte, ist unversehens sichtbar geworden, als überflüssiges Rad am Wagen. Was dem Ego schadet. Wer konnte auch ahnen, daß der Spiegel so plötzlich zerbricht. Und so restlos. Und jetzt pfeift der Wind kalt durch den leeren Rahmen. Für Leute, die nur den Spiegel als Standpunkt haben eine fatale Sache. Sie schauen nicht ins Land, in die Welt, sie schauen ins Nichts. Wenn die Welt nur aus Ich besteht, ist das so. Tja, wie sagte noch der Kindermund im Märchen: Aber er hat ja gar nichts an. Ohne Spiegel sind sie tatsächlich so nackt wie der Kaiser. Das Erkennen der eigenen „Größe“ allerdings wäre auch ein schmerzhafter Vorgang, und eine Katharsis wäre keineswegs gewiß. Man kann schlecht reinigen, was nicht vorhanden ist, eine Persönlichkeit zum Beispiel. Denn der Spiegel macht die Leute, die sich dauernd in ihm beschauen, kleiner und kleiner. Vom Gesäusel der Speichellecker mal abgesehen haben wir es also nicht mit Personen, wir haben es mit Abbildern zu tun, mit Puppen im Kaspertheater. Der Puppenspieler mag kleine Leute, die liegen nicht so schwer in der Hand. Heißt, all die „Eliten“, die uns Tag für Tag beschäftigen, sind nichts weiter als Stöckchen für den Hund. Brot und Spiele, und je weniger Brot, desto mehr Spiele. Und wenn eine von den Puppen droht, selbständig zu werden, nun, auch das konnten wir in den letzten Jahren ausgiebig beschauen. Aber hast du den Puppenspieler mal gesehen? Nicht? Nur Puppen, die sich gegenseitig die Pappköpfe einschlagen? Tja mein Lieber, so ist das. Es ist lange her, daß sichtbare und wirkliche Macht ein und das selbe waren. Aber kommen wir zur Erkenntnis zurück: Ein Krämer ist kein Soldat, er zückt nicht das Schwert. Ein Krämer „schöpft“ seinen Gewinn aus Betrug, er kauft etwas und verkauft es teurer weiter, zum Beispiel an den Soldaten. Und dann bezahlt er diesen mit dem von ihm ergaunerten Geld, ein hübscher Kreisverkehr. Der Soldat soll zum Beispiel dafür sorgen, daß niemand der Betrogenen dem Krämer ans Leder geht. Du kannst dir auch an des Soldaten Stelle eine Richter vorstellen, oder einen Politiker, oder Polizisten, oder oder. Heißt, all die Kasperpuppen dürfen auf keinen Fall erkennen, daß sie Kasperpuppen sind. Das würde den schönen Kreisverkehr zunichte machen. Also bezahlt der Krämer noch ein paar Bänkelsänger und Ausrufer und so weiter, und nennt das Ganze alternativlos, ganz wie Frau Merkel vor ein paar Jahren. Mal davon abgesehen, daß die Leute dauernd einen neuen Kühlschrank brauchen. Der Krämer ist schlau, er weiß die Gier zu schüren. Heißt zum Schluß: Sich als Kasperpuppe mit Pappkopf zu erkennen ist keine schöne Sache – und verdammt noch mal, irgendwo wird doch noch ein alter Spiegel herumstehen, im Kellergeschoß der Geschichte, nicht? Tja mein Lieber, auch das kannst du dir neuerdings in Europa ausführlich beschauen.“